29.07.2019
Ungefähr 1 Jahr ist es her, da ereilte mich ein Hilferuf einer verzweifelten Katzenmama:
“Ich weiß nicht mehr, was ich tun soll, mein Kater Milo markiert überall in der Wohnung, ich bin soo verzweifelt und hab schon so viel probiert. Ich glaube, er hat große Probleme mit meinen anderen 5 Katzen.
Dazu kommt, dass auch die Katzenklos nicht zuverlässig benutzt werden. Dauernd Pfützen in der Badewanne, vor der Dusche und neben den Katzentoiletten.
Ich brauche dringend Hilfe! Können Sie bitte so schnell wie möglich vorbeikommen?”
Nach diesen Ausführungen und weiteren Informationen in unserem ersten Telefonkontakt denke ich: “Himmel, was erwartet mich dort, der Kater muss ja hoch gestresst sein.”
Kurz vor dem Hausbesuch streikt mein Auto und ich möchte den Termin verschieben. So der Plan - aber Lisa W. ist so verzweifelt, dass sie mir anbietet, mich abzuholen - der einfache Weg 20 Kilometer!
Wow! Wie sehr liegt ihr das Wohl ihrer Katzen am Herzen! Ich bin überwältigt von so viel Engagement!
Gesagt, getan - wir betreten das Haus, das sich über 2 Etagen erstreckt, nehmen im Wohnzimmer Platz und ich lasse Lisa erzählen.
Ein erster Überblick
Während unseres Gesprächs gesellen sich nach und nach 4 Kater und 1 Katze zu uns ins Zimmer. Es fehlt die ängstliche Mia, die sich immer im Hintergrund hält, wenn fremde Menschen zu Besuch kommen. Ansonsten macht sie laut Lisa keine Probleme.
Ich höre zu, beobachte und bin erst einmal erstaunt. Ich habe einen Milo erwartet, der sich versteckt oder ruhelos umherzieht und andere auffällige Zeichen von Stress zeigt. Nichts dergleichen und auch alle anderen anwesenden Katzen verhalten sich ruhig und tun, was man als Katze eben so macht: am Kratzbaum spielen, als Diva vom Sideboard aus die Jungs im Auge behalten oder Fellpflege betreiben.
Ich habe es hier also mit einem Problem zu tun, das auf den ersten Blick nicht ersichtlich ist. Kleine Szene am Rande: Diva Mimi wird von 2 Katern vor einem Schrank in die Enge getrieben - sie weiß sich aber zu helfen und nach kurzem Fauchen ist der Spuk vorbei - normale soziale Auseinandersetzungen… Milo ist nicht daran beteiligt.
Während ich ihn betrachte, registriere ich eine leichte Unruhe - zu erkennen an seinem Schwanz, der fast unmerklich immer mal wieder kurz zuckt. Ich spüre sein sensibles Wesen, aber er verhält sich keineswegs ängstlich. Ab und zu verlässt er das Zimmer, kommt aber recht schnell wieder, als ob er nachsehen möchte, wo Mia sich aufhält. Er hält auch keinen außergewöhnlichen Abstand zu den anderen, sucht sich einen Ruheplatz mitten unter ihnen. Zeitweise wirkt er etwas gelangweilt. Außer der oben beschriebenen Szene gibt es keine sichtbaren Anspannungen unter den Katzen.
Das Bühnenbild
Dann zeigt mir Lisa das Haus. Es gibt 6 Katzentoiletten, verteilt auf Badezimmer, Flur, Schlafzimmer und 2. Etage, in unterschiedlichen Größen - alle mit Haube, gefüllt mit nicht klumpender Streu.
Im Wohnzimmer steht ein großer, schon stark abgenutzter Kratzbaum und ein kleinerer. Beide sind bei allen Katzen sehr beliebt. Der Balkon ist mit einem Netz gesichert, so dass die Tür auch mal offen stehen kann. Zum Garten haben die Katzen keinen Zugang. Außer den Kratzbäumen gibt es noch einige gemütliche Ruheplätze, die gerne genutzt werden, an denen Milo aber auch bereits Urinspuren hinterlassen hat. An weiteren Stellen im Wohnzimmer, Flur, Schlafzimmer, Küche und Bad zähle ich insgesamt 14 ältere und neue Urinflecken.
Im Wohnzimmer sind mehrere zerkratzte Stellen an den Wänden zu sehen. In der oberen Etage halten sich die Katzen nur selten auf.
Tagesablauf und Beschäftigung
Lisa ist geschieden und arbeitet in einem Vollzeitjob. Zeit zum Spielen und Streicheln bleibt nur abends. Die Katzentoiletten werden alle paar Tage komplett gereinigt, was einen großen Zeitaufwand darstellt. Es ist auch nicht immer ganz einfach, den Bedürfnissen aller Katzen gerecht zu werden.
Zudem muss Lisa täglich die verunreinigten Stellen beseitigen. Für entspannte Beschäftigung mit den Katzen bleibt nicht wirklich viel Zeit übrig. Es gibt aber kleine Rituale, die von den Katzen auch gefordert werden.
Natürlich gibt es ab und zu mal Streitereien, aber außer Milo machen alle Katzen einen recht zufriedenen Eindruck. Auch die zurückhaltende Mia kommt zurecht, sie hat lediglich Angst vor Besuchern.
Milo liebt seine abendliche Leckerli-Jagd, für ihn ein schönes Ritual. Ansonsten sucht er zwar Lisas Nähe, hält aber nicht lange aus. Lisa ist abends auch nicht wirklich entspannt, weil sie immer kontrolliert, ob er irgendwo seine Spuren hinterlassen hat. Sie vermutet, dass er tagsüber und nachts unruhig durch die Wohnung läuft und markiert. Wer immer mal wieder neben die Katzentoiletten uriniert, kann sie mir nicht genau sagen. Sie glaubt an mehrere Übeltäter für diese Unsauberkeit.
Die Frage nach dem Warum
Ich erkläre Lisa, welche Eindrücke ich von der Katzengruppe, der gegenwärtigen Situation und von Milo habe. Milo ist sehr sensibel und spürt selbst kleinste Schwingungen und Emotionen innerhalb der Gruppe und auch bei ihr. Er markiert vor allem in Wohnzimmer und Küche. In diesen beiden Räumen spielt sich der größte Teil des gemeinsamen Lebens ab.
Wir wissen nicht, was nachts und tagsüber genau passiert. Jetzt ist die “Bande” recht entspannt, Frauchen ist ja anwesend. Lisa kann nicht ständig nach dem Rechten sehen und während ihrer Abwesenheit oder nachts gibt es sicher mal kleinere oder auch größere Querelen. Milo sieht in seiner Unsicherheit offenbar keine andere Möglichkeit, als sich durch das Markieren mit Urin von den anderen abzugrenzen. Der Geruch seines Urins bietet ihm Sicherheit. Damit das so bleibt, muss er ihn immer wieder erneuern - ein ständiger Kreislauf. Zudem ist er sehr aktiv, hat aber keine Möglichkeiten, das auszuleben.
Ruhe- und Schlafplätze gibt es fast ausschließlich im Wohn- und Schlafzimmer. Für Milo scheint das nicht zu genügen. Ihm fehlt es an Raum zum Ausweichen, obwohl das komplette Haus einiges an Möglichkeiten bietet, aber nicht vollständig genutzt wird. Es fehlen auch erhöhte Rückzugsorte, die Milo zusätzlich Sicherheit geben können.
Auch bzgl. der Katzentoiletten gibt es Optimierungsmöglichkeiten.
Aller Anfang ist schwer
Als ersten Schritt kümmern wir uns um die Unsauberkeit. Hier empfehle ich Lisa eine Änderung im Toilettenmanagement. Meiner Meinung nach wird es hier schon nach kurzer Zeit die ersten Erfolge sowie 2 weitere Vorteile geben:
- mehr Zeit für die Katzen
- weniger Arbeit mit den Toiletten
Lisa ist tatkräftig dabei und entfernt von allen Toiletten sofort die Hauben. Auch die Standorte haben wir angepasst. In den nächsten Tagen wird sie außerdem 2 der Toiletten durch größere ersetzen, eine weitere aufstellen und diese versuchsweise mit einer feinkörnigen Klumpstreu füllen. Wenn das funktioniert, wird in allen anderen Toiletten die vorherige Streu nach und nach durch die neue ersetzt.
Um das Harnmarkieren einzudämmen, starten wir mit der gründlichen Reinigung der verunreinigten Stellen an Wänden und Möbeln. Ich empfehle Lisa einen Enzymreiniger, der die Eiweiße im Urin auflöst und somit Geruch komplett beseitigt, statt lediglich zu überdecken. Das alleine genügt aber nicht: Nach der gründlichen Reinigung, die wahrscheinlich mehrmals wiederholt werden muss, damit auch wirklich alle Gerüche “verschwinden”, wird Lisa alle markierten Stellen unzugänglich machen bzw. umfunktionieren.
An den Wänden neben einem Fenster, über der Couch, hinter einem Schlafplatz und überall dort, wo es möglich ist, wird Lisa die bisher mit Urin bespritzten Stellen mit Kratzmatten, Kratzbrettern, Fußmatten oder Ähnlichem abdecken. Hier soll Milo animiert werden, seine Spannungen an diesen - für ihn sozial wichtigen Stellen - durch Kratzmarkieren abzubauen und nicht mehr mit Urin.
In der Küche werden 2 markierte Stellen zu Futterplätzen umfunktioniert: Nach gründlicher Geruchsentfernung legt Lisa Kunststoffunterlagen aus und stellt darauf die Futternäpfe. Diese beiden Stellen bieten sich zum Füttern an, da alle Katzen gemeinsam in der Küche gefüttert werden und somit für jeden mehr Platz ist.
Diese Änderungen unterstützen lediglich die weiteren wichtigen Maßnahmen, die noch folgen. Ich bin sehr gespannt wie die Katzen - insbesondere Milo - damit zurechtkommen.
Admin - 21:17 @ Fallstudien | Kommentar hinzufügen
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